- Roxette: Fließband-Pop aus Schweden
- Roxette: Fließband-Pop aus SchwedenDas schwedische Popduo Roxette, das aus dem Sänger und Gitarristen Per Gessle sowie der Sängerin Marie Fredriksson besteht, avancierte nach großen Erfolgen in Skandinavien ab 1988 zu einem der berühmtesten Künstlerpaare des Erdballs. Mit ihrem ersten Welthit »The look« schufen sie sich eine riesige Fangemeinde, die den eingängigen Pop der Schweden auch in den Folgejahren begeistert hören und kaufen wollte. Von Kritikerseite aufgrund ihres »Fließband-Pops« nicht sonderlich ernst genommen, schrieben und produzierten Roxette doch unermüdlich einen Hit nach dem anderen, und nicht nur, was die Beliebtheit, sondern auch was die Verkaufszahlen anging, erwiesen sie sich als würdige Nachfolger einer anderen ungemein erfolgreichen Band aus Skandinavien: ABBA. Doch anders als bei diesen führten Ruhm und Reichtum bei Roxette nicht zur Trennung, und sie legten zuletzt 1999 ein Album vor, das so clever und poppig wie das bislang von ihnen Bekannte daherkam, wenngleich musikalisch kein Neuland gewonnen wurde.Anfänge in SchwedenRoxette, das nach ABBA erfolgreichste schwedische Musikprojekt, nahm seinen Anfang im Jahr 1986, als Per »Pelle« Gessle (* 12. Februar 1959 in Halmstad) und Marie »Majsan« Fredriksson (* 29. Mai 1958 in Östra-Ljungby) beschlossen, von nun an gemeinsame Sache zu machen. Beide waren in Schweden schon äußerst erfolgreiche Künstler. Per hatte sich ab 1980 als Sänger, Gitarrist und Songschreiber der Spitzen-Popgruppe Gyllenne Tider (Goldene Zeiten) profiliert und mit dieser Band sowie solo Platten veröffentlicht. Marie war mit ihren Gruppen Strul und MaMas Barn zu weniger Prominenz gelangt, doch solo hatte sie es ab 1984 geschafft, sich als Rocksängerin und Komponistin zu etablieren und drei gut gehende Langspielplatten zu veröffentlichen. Nachdem sich Pers Gruppe 1985 aufgelöst hatte und seine Soloplatten sich immer schleppender verkauften, folgten die beiden dem Vorschlag der Plattenfirma EMI, es doch einmal gemeinsam zu probieren. Marie brachte die Songs, die eigentlich für ihr nächstes Soloalbum vorgesehen waren, mit in diese »Ehe« und schlug alle Warnungen ihrer »Berater« in den Wind. Als ausgebildete Pianistin und Komponistin setzte sie auf den bekennenden Beatles-Fan Per, dessen Gespür für eingängige Popmelodien sowie auf das Konzept, mit englischen Texten ein Publikum auch außerhalb Skandinaviens zu erreichen. Unter dem Namen Roxette (nach einem Song der englischen Rhythm ' Blues-Gruppe Dr. Feelgood) veröffentlichten die beiden 1986 die Single »Neverending love«, die in Schweden schnurstracks zum Hit avancierte (und im restlichen Europa zumindest bekannt wurde). Die begleitende LP »Pearls of passion« verkaufte sich in Schweden über 100 000-mal und erreichte Platin-Status. Eine groß angelegte, triumphal verlaufene Tournee durch ihr Heimatland sorgte 1987 dafür, dass sich Roxette als Duo zu einer festen Größe im schwedischen Popgeschäft entwickelte. Marie mit der goldenen Kehle hatte auf das richtige Pferd gesetzt.Welterfolg über NachtNachdem am Jahresende die Weihnachtssingle »It must have been love (Christmas for the broken hearted)« als Superhit permanent im schwedischen Radio gespielt worden war, legte das Duo 1988 mit »Look sharp!« sein zweites Album vor. Diese Sammlung von Popsongs (unter anderem »The look«) schoss sofort auf Platz 1 der Hitparade, blockierte drei Monate lang die Spitzenposition und wurde zur bislang zweiterfolgreichsten schwedischen Veröffentlichung (nach ABBAs »The Album«).Doch so clever und poppig die Schweden ihre Musik auch präsentierten — der internationale Durchbruch kam nur durch einen Zufall zustande. Ein amerikanischer Austauschstudent, der sich während seines Skandinavienaufenthalts für die Songs von Roxette begeistert und die CD mit nach Hause genommen hatte, sorgte dafür, dass »The look« in Minneapolis von dem lokalen Radiosender KDWB gespielt wurde. Die Reaktion der Zuhörer war derart überwältigend, dass der Sender Kassettenkopien herstellte und an andere Rundfunkstationen verteilte. Insbesondere die kleinen College-Radios fanden Gefallen an dem rockig eingängigen Sound des Duos, und Roxette durften vom fernen Schweden aus erleben, dass sie in den USA einen Hit hatten, ohne dort überhaupt eine Platte veröffentlicht zu haben. Die Plattenfirma EMI, bei der die Gruppe unter Vertrag war, reagierte blitzschnell und veröffentlichte Single und Album im Januar 1989 offiziell und weltweit. »The look« erreichte Platz 1 nicht nur der Billboard-Charts, sondern auch der Hitparaden in 24 weiteren Ländern rund um den Erdball (auch Deutschland).Im Herbst 1989 folgte mit »Listen to your heart« eine weitere amerikanische Nr.-1-Single (Deutschland Platz 7). Neben den Hitsingles sorgte auch eine erste Europatournee dafür, dass zum Jahresende die Verkaufszahlen von »Look sharp!« eine stolze Höhe erreicht hatten: 8 Millionen. Und der Siegeszug ging weiter, wie sehr die Fachwelt auch über die Schweden und ihren glatten »Fließband-Pop« herzog. Eine überarbeitete Fassung von »It must have been love« (jetzt ohne Weihnachtsthematik) war 1990 Teil der Filmmusik zu »Pretty woman«, der Kinoromanze mit Julia Roberts und Richard Gere. Der Film wurde zum Kassenschlager, der Soundtrack verkaufte sich über 9 Millionen Mal, und Roxette hatten ihren dritten Nr.-1-Hit in den USA (Nr. 4 in Deutschland).Der Erfolg reißt nicht abAnfang 1991 veröffentlichten Roxette ihr drittes Album, »Joyride«, eine Ansammlung von so klug wie aufwendig produzierten Ohrwürmern. Der ausgekoppelte Titelsong eroberte wieder einmal die Spitzenposition der Hitparaden und bereitete mit den Folge-Singles »Fading like a flower«, »The big L« sowie »Spending my time« die Roxette-Fans in aller Welt auf die große Tournee vor, die das Duo mit Begleitgruppe von September 1991 bis Juni 1992 über 108 Stationen rund um den Erdball führte. 1,7 Millionen Menschen besuchten die Konzerte dieser mit »Join the joyride« betitelten Tournee, und 10 Millionen kauften die CD. Im Verlauf der Reise nahmen Per und Marie weitere Lieder auf, und gemeinsam mit fünf Livemitschnitten erschien das neue Material unter dem Titel »Tourism« (1992). Der Untertitel »Songs from studios, stages, hotel rooms ' other strange places« (Lieder von Studios, Bühnen, Hotelzimmern und anderen seltsamen Orten) machte deutlich, dass diese Platte als eine Art Tourtagebuch angelegt war und bewusst eine andere, spontanere Seite der Vollblutmusiker beleuchten sollte (was sich auf die Verkaufszahlen auswirkte: Die Platte konnte an vorhergehende Erfolge nicht anknüpfen). Dass Roxette nicht auf Studiotechnik allein angewiesen waren, um gute Musik zu machen, bewiesen die Schweden dann noch einmal bei ihrem Auftritt im Rahmen der renommierten Fernsehsendung »MTV Unplugged«, zu der sie 1993 als erste nicht dem englischen Sprachraum entstammende Band eingeladen wurden. Im Jahr zuvor hatte Marie Fredriksson ihr mittlerweile viertes Soloalbum »Den ständiga resan« veröffentlicht, ein ruhig gehaltenes Werk in schwedischer Sprache, das eine gewisse Abkehr von Starrummel und internationalem Showgeschäft demonstrierte. Auch privat änderte sich bei Roxette einiges: Marie brachte im April 1993 ihre Tochter Josefine zur Welt (die Heirat mit Michael Bolyos, dem Vater des Kindes, erfolgte 1994), und Per ehelichte seine langjährige Freundin Åsa Nordin. Als nächste gemeinsame Arbeit erschien dann 1993 der Song »Almost unreal«, den Roxette zum Soundtrack des US-Spielfilms »Super Mario Bros.« beisteuerten. Dem Film war wenig Erfolg beschieden, doch die Single wurde zum Sommerhit.Erfolg rund um den GlobusNach dieser vergleichsweise ruhigen Phase im Roxette-Schaffen ging es 1994 wieder voll zur Sache. Die LP »Crash! Boom! Bang!« erschien im April und brachte — wenn schon keinen Nr.-1-Hit wie früher — doch eine Reihe erfolgreicher Singles wie den Titelsong, »Sleeping in my car«, »Fireworks« und »Run to you«. Im Herbst des Jahres begaben sich Roxette auf eine zweite Welttournee, die sie im Verlauf von neun Monaten über 85 Stationen führte (47 davon in Europa). Aufsehen erregend war dabei, dass es der Gruppe gelang, nicht nur in den »westlichen« Ländern Häuser und Stadien zu füllen, sondern auch in Südafrika, Südamerika und Asien Begeisterungsstürme auszulösen. Von besonderer, weil (kultur-)politischer Bedeutung waren die Auftritte in Peking (erste westliche Band seit 1986) und Moskau (erste westliche Band seit der Oktoberrevolution 1917). Im Herbst 1995 erschien Roxettes erste, selbstironisch mit »Don't bore us — get to the chorus« (Langweilt uns nicht, bringt den Refrain) betitelte Kompilation ihrer größten Hits. Wie kaum anders zu erwarten, konnte sich auch diese Platte in den Hitparaden gut platzieren, und von den vier neuen Stücken, die den bisherigen Hits beigefügt waren, erwiesen sich insbesondere »June afternoon« sowie »You don't understand me« als eben solche. 1995 tat sich Per Gessle wieder mit seiner alten Band zusammen, um ein einmaliges Konzert in seiner Heimatstadt zu geben. Nach riesigem Publikumsandrang verlangten Presse und Fans eine »richtige« Wiedervereinigung, eine Platte und eine Tour, doch Per und seine Mitmusiker ließen sich bis 1996 bitten. Dann allerdings veröffentlichten Gyllene Tider eine EP mit vier neuen Songs, gaben Konzerte in Schweden und wurden in ihrer Heimat zum Gesprächsthema Nummer eins. Nachdem Marie ihr fünftes Soloalbum veröffentlicht und einem zweiten Kind, Oscar, das Leben geschenkt hatte, machten sich Roxette im Herbst 1996 an die Fertigstellung ihrer LP »Baladas en español« (ihre Erfolgssongs auf Spanisch), die auf den spanischsprachigen Markt zielte und in Spanien, Argentinien, Venezuela, Mexiko und Chile großen Erfolg hatte. 1997 war vornehmlich Per aktiv. Er machte im Alleingang die recht harte LP »The world according to Gessle«, für deren Videos er mit dem aufstrebenden Regisseur Jonas Åkerlund zusammenarbeitete (der daraufhin Folgeaufträge von Madonna und Prodigy erhielt). Außerdem wurde er Vater, denn seine Gattin brachte den gemeinsamen Sohn Gabriel zur Welt. Nach einer langen Schaffenspause erschien erst im Frühjahr 1999 eine neues Album von Roxette. »Have a nice day« war wie alle seine Vorgänger in Zusammenarbeit mit dem Produzenten Clarence Ofwerman entstanden und enthielt wieder ausgetüftelte Popmelodien, die sich bei den Käufern großer Beliebtheit erfreuten. Mit der Singleauskopplung »Wish I could fly« knüpften Roxette musikalisch an ihren frühen Balladenhit »It must have been love« an, was sich in kommerzieller Hinsicht äußerst positiv auswirkte, dabei allerdings — und nun verstärkt — die Vermutung nahe legte, dass neue Wege zu gehen zu keiner Zeit im Interesse des Duos lag.TonträgerPearls of passion (1986)Look sharp! (1988)Joyride (1991)Tourism (1992)Crash! Boom! Bang! (1994)Don't bore us — get to the chorus! Roxette«s greatest hits (1995)Baladas en español (1996)Have a nice day (1999)Per Gessle:Per Gessle (1983)Scener (1985)På väg (1992)The world according to Gessle (1997)Hjärtats trakt (1997)Gyllene Tider:Gyllene tider (1980)Moderna tider (1981)Puls (1982)The Heartland Café (1984)Instant hits (1989)Kompakta tider (1990)E.P. (1996)Atertaget — Live 1996 (1997)Ljudet av ett annat hjärta (1997)Marie Fredriksson:Het vind (1984)Den sjunde vagen (1986)Efter Stormen (1987)Den ständige resan (1992)I en tid som vår (1996)Lars Lundgrenund Jan-Owe Wikström: Roxette — Das Buch. Aus dem Schwedischen. München 1994.
Universal-Lexikon. 2012.